Unmittelbarer Beweis der verbesserten lymphatischen Funktion nach der Behandlung mit modernen Geräten zur AIK

Studie zur KompressionstherapieDas Lymphödem ist eine weit verbreitete Erkrankung die mit der komplexen physikalischen Entstauungstherapie (KPE) behandelt wird. Teil der KPE ist die Lymphdrainage. In der Schweiz wird hauptsächlich die manuelle Lymphdrainage angewendet. Die Krankenkasse bezahlt den Patienten allerdings nur eine reduzierte Anzahl an Behandlungen. Viele leiden deshalb an Beschwerden und nicht ausreichend entstauten Ödemen. Hinzu kommt, dass die entstauende Wirkung der manuellen Lymphdrainage beschränkt und stark vom Therapeuten abhängig ist.

Die apparative intermittierende Kompressionstherapie (AIK) hingegen ist kostengünstig und für den Patienten jederzeit verfügbar. Trotzdem ist die Therapiemethode in der Schweiz wenig bekannt und wird von Physiotherapeuten teilweise stark abgelehnt, oft mit der Begründung, die Therapie sei nicht wirksam. Die Linderung der Symptome durch die AIK ist allerdings gut untersucht. Und auch der Vorwurf, die AIK behandle das Lymphsystem nicht „ganzheitlich“, weil die „Vorbereitung/Öffnung“ der Lymphgefässe fehle gilt nicht, wie eine Studie zur lymphatischen Funktion nach AIK zeigt. Wir haben die Studie von Adams et al.(1) für Sie frei und leicht gekürzt übersetzt.

Abstract

Das Lymphödem betrifft ungefähr 50% aller Brustkrebs-Überlebenden. Die Therapie mit apparativer intermittierender Kompression (AIK) ist umstritten, weil es keine Methode zur direkten Beurteilung der Vorteile gibt. In dieser Pilotstudie wurden Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren im Nah-Infrarotberiech (NIR) durchgeführt, um die Antwort des Lymphsystems auf die AIK bei Lymphödem nach Brustkrebs und in einer Kontrollgruppe zu untersuchen. Die Aktivität der Lymphgefässe, die Lymphflussgeschwindigkeit und die Menge der angesprochenen Lymphgefässe wurden vor, während und nach der AIK gemessen. Die Lymphfunktion verbesserte sich bei 4 von 6 Armen mit Lymphödem, die Verbesserung wurde mit der proximalen Bewegung des Färbemittels nach der Therapie definiert. Bildgebende Verfahren des Lymphsystems mit Hilfe von NIR könnten hilfreich sein, um die Antwort des Lymphsystems auf die Therapie zu untersuchen. Die Resultate deuten darauf hin, dass AIK die Funktion des Lymphsystems anregt und eine effektive Methode zur Behandlung von Lymphödemen nach Brustkrebs sein könnte.

Einleitung

In den USA steigt die Überlebensrate bei Krebs stetig an, wobei der Diagnosezeitpunkt den wichtigsten Indikator für eine gute Prognose der 5-Jahres-Überlebensrate darstellt. Die Entfernung von Lymphknoten spielt eine wichtige Rolle in der wirkungsvollen Krebstherapie, erhöht aber gleichzeitig das Risiko an einem Armlymphödem zu erkranken. Eine Bestrahlung erhöht das Risiko für eine Lymphödem zusätzlich. Das Armlymphödem ist nicht heilbar und schreitet immer weiter voran.

Mehr als ein lokales Leiden!

Die Brustkrebsrate liegt bei 3 bis 15% nach einer Biopsie der Wächterlymphknoten; 10 bis 20% nach einer kompletten Lymphknotenausräumung in der Achsel und 30 bis 50% nach einer kompletten Lymphknotenausräumung mit nachträglicher Bestrahlung. Symptome des Armlymphödems können Einschränkungen in Bewegungsumfang und Funktion des Arms, Schmerzen, Frustration, Wut und Depression sein. Bleibt es un- oder unzureichend behandelt, kann das Lymphödem zu extremen Entstellungen, chronischen Infektionen und Lymphangiosarkom führen.

KPE – häufig sind Patienten unzureichend versorgt!

Die Standardtherapie bei Lymphödem ist die komplexe physikalische Entstauungsterapie (KPE), welche manuelle Lymphdrainage (MLD), Kompressionsverbände, Bewegungsübungen und Hautpflege beinhaltet. Die Wirksamkeit der Therapie wird typischerweise durch Messen des Armvolumens oder der Armumfänge bewertet. Gemäss diesen Kriterien bleibt der Therapieerfolg bei professionell durchgeführter KPE bei 50 bis über 80% der Patienten mit Armlymphödem während einer Zeit von 12 Monaten erhalten. Fehlende Compliance bei der verordneten Selbstlymphdrainage ist der Hauptgrund für das Scheitern der Therapie.

AIK – die einfache Therapie für zu Hause

AIK Geräte können die Selbsttherapie zu Hause ersetzen oder ergänzen. (In der Schweiz ist die Selbsttherapie nicht weit verbreitet, viele Patienten leiden in der 2. Phase der KPE aber unter Beschwerden, weil sie gar nicht mehr oder nur noch selten zur MLD gehen. Diese Zeit lässt sich mit der AIK überbrücken.) AIK Geräte sind normalerweise mit einer Kompressionsmanschette ausgestattet, die sequentiell aufgepumpt und wieder abgepumpt wird, um Lymphe und Flüssigkeit im Zwischenzellraum Richtung Achsel und Bereiche mit ausreichender Drainage zu verschieben. Einfache AIK-Geräte sind mit einer Einkammermanschette ausgestattet oder der Druck ist nicht regulierbar. In der klinischen Praxis haben sich AIK-Geräte mit mehrkammeriger Manschette und der Möglichkeit den Druck einzustellen jedoch als wirksamer erwiesen. Bis jetzt fehlt eine Methode um die Antwort des Lymphsystems auf verschiedene Behandlung direkt zu vergleichen.

Eine Methode um die Lymphfunktion vor und unmittelbar nach der Therapie zu untersuchen könnte helfen, die effektivste Behandlungsmethode aufgrund der Antwort des Lymphsystems zu bestimmen, die Compliance der Patienten zu verbessern und neue, effektive Behandlungen zu entwickeln. Das Ziel dieser Pilotstudie war, eine bildgebende Untersuchungstechnik im nahinfrarot Fluoreszenz Bereich einzusetzen, um die Antwort des Lymphsystems auf die AIK bei Personen mit brustkrebsbedingtem Lymphödem und bei Kontrollpersonen zu untersuchen.

Methode

Neun Personen wurden in die Studie eingeschlossen, 3 Kontrollpersonen und 6 Frauen bei denen ein einseitiges Lymphödem nach Brustkrebs diagnostiziert wurde. Den Versuchspersonen wurde ein nahinfrarot-fluoreszenz Kontrastmittel gespritzt und danach für ungefähr 2.5 Stunden eine Aufzeichnung vorgenommen, während dieser Zeit erfolgte auch die AIK Behandlung. Die Überwachung der Vitalfunktion während der Behandlung und der Kontrollanruf 24 Stunden nach der Injektion ergaben, dass keine ungewünschten Reaktionen auftraten.

Nachweis des Lymphflusses durch fluoreszierende Injektion

Als Kontrastmittel wurde 25 μg Indocyaningrün mit 100 μL Salzlösung verdünnt und bis zu 6 Mal intradermal injiziert. Die Injektionen wurden an der lateralen Hand (zwei), medial des Handgelenks (bis zu zwei), und über dem lateralen und medialen antibrachial Muskel (bis zu zwei) verabreicht. Zwei nahinfrarot Fluoreszenz Kameras haben gleichzeitig und unabhängig Bilder beider Arme aufgezeichnet. Alle Versuchspersonen legten sich direkt nach dem Verabreichen des Kontrastmittels auf den Rücken. Während ungefähr einer Stunde wurde der Lymphfluss aufgezeichnet und einen Basiswert zu ermitteln bevor die AIK Therapie gestartet wurde.

Während der einstündigen AIK-Behandlung wurden die Aufzeichnung am nichtbehandelten Arm weitergeführt, um herauszufinden ob die Therapie einen systemischen Effekt auf das Lymphsystem hat. Da die AIK-Manschette die Haut während der Therapie verdeckte, konnte während dieser Zeit am behandelten Arm keine Aufzeichnung gemacht werden.

Hinweis: Eine neue Studie aus dem Jahr 2017 konnte dank transparenter Manschette den Echtzweitbeweis für die Wirksamkeit der AIK erbringen. Hier erfahren Sie mehr über die Studie zum Echtzeit-Nachweis.

Nach der AIK Behandlung wurden erneut beide Arme aufgezeichnet, um die Wirkung der AIK festzuhalten.

Die AIK wurde mit einem automatischen, kalibrierten und programmierbaren AIK-Geräte durchgeführt, das speziell für die Behandlung des Lymphödems entwickelt ist. Die Manschette wurde entsprechend den Herstellerangaben angepasst und um Arm, Brust und Rumpf gelegt.

Anhand des Bildmaterials wurden die Lymphflussgeschwindigkeit und die Propulsionsrate analysiert. Lymphtransport wurde definiert als „Packet“ von Indocaingrün (ICG) das entlang der Lymphgefässe wandert. Bei den Bildern in denen eine Lymphfluss festgestellt wurde, setzte man ein spezielles Programm ein, das Lymphgefässe und Veränderungen in der Intensität der Fluoreszenz im Laufe der Zeit feststellte, um die Geschwindigkeit des „Packets“ an ICG gefärbter Lymphe zu berechnen. Positive Geschwindigkeiten bedeuten einen Fluss nach proximal, während negative Werte eine distale Bewegung, weg von der Achsel beschreiben.

Die Rate der lymphatischen Propulsion war definiert als Anzahl angetriebener „Packete“ in einem bestimmten Zeitabschnitt. Die Daten wurden gruppiert für die Zeit vor, während und nach der AIK-Behandlung, für den behandelten und unbehandelten Arm.

Resultate

Signifikante Verbesserung der Lymphfunktion – lokal und systemisch

In der Kontrollgruppe war die Rate der lymphatischen Propulsion während und nach der Behandlung im Vergleich zu vor der Behandlung erhöht. Es gab keinen signifikanten Unterschied in der durchschnittlichen Fliessgeschwindigkeit vor während und nach der Behandlung. Negative Geschwindigkeiten (Fluss nach distal) wurde vor und während der Behandlung festgestellt, aber nicht nach der AIK. Vor der Behandlung liess sich nur ein Lymphgefäss deutlich mit ICG sichtbar machen, während nach der AIK ein zweites Gefäss gut sichtbar wurde. Das Ansprechen weiterer Lymphgefässe konnte bei 2 von 3 Kontrollpersonen beobachtet werden. Die Lymphfunktion verbesserte sich bei allen Kontrollpersonen signifikant. Die Propulsionsrate verbesserte sich nicht nur nach der AIK-Behandlung, sondern auch während der ersten Phase der AIK im unbehandelten Arm, was auf eine systemische Verbesserung des Lymphabflusses unter der AIK hindeutet.

In den lymphatisch geschwollenen Armen war es nicht möglich die Propulsionsrate und die Lymphflussgeschwindigkeit aufzuzeichnen, weil das ICG durch den geschwollenen Arm zu wenig gut sichtbar ist. Proximale Bewegungen des ICG in Richtung Achsel oder Schulter konnte dennoch bei 4 von 6 behandelten Armen mit Lymphödem beobachtet werden und wurde als Beweis für die Flüssigkeitsdrainage und die Stimulation des Lymphsystems angesehen. Vor der AIK war das ICG bei zwei Personen beim Ellbogen sichtbar, nach der Behandlung verschob sich das ICG nach proximal von Ellbogen in Richtung Oberarm. Bei einer dritten Person war das Kontrastmittel nur an der Injektionsstelle sichtbar, nach der AIK im gesamten Arm. Bei 2 von 5 lymphatischen Armen setzte sich die Bewegung des ICG in Richtung Achsel und Schulter fort. Vor der Behandlung war in der Schulter oder am lateralen Oberarm bei keiner Versuchsperson ICG detektierbar.

Auch im unbehandelten Arm wird der Lymphfluss angeregt

In den unbehandelten Armen der Lymphödempatientinnen erhöhte sich die Rate der lymphatischen Propulsion nach der Behandlung im Vergleich zu vor der Behandlung. Bei 4 von 6 Armen war die Propulsionsrate auch während der Behandlung erhöht. In der Fliessgeschwindigkeit gab es keine Unterschied vor, während und nach der Behandlungsphase. Wie schon bei der Kontrollgruppe, konnte auch bei den Patientinnen mit Lymphödem eine negative Fliesseschwindigkeit im asymptomatischen Arm vor und während der AIK Behandlung festgestellt werden, nicht aber nach der Behandlung.

Ein signifikanter Unterschied konnte hingegen bei der Propulsionsrate im Vergleich vor und nach der Behandlung, sowie während und nach der Behandlung festgestellt werden. Diese statistische Differenz ist speziell hervorzuheben, da bei der Kontrollgruppe am unbehandelten Arm keinen signifikanten Unterschied der Propulsionsrate festgestellt werden konnten. Anders als bei der Kontrollgruppe konnte bei der Gruppe mit Armlymphödem ein signifikanter Anstieg der Propulsionsrate während der gesamten AIK Behandlung festgestellt werden. Das könnte bedeuten, dass es bei den Personen mit Armlymphödem einen systemischen Kompensationsmechanismus gibt. Solch ein Kompensationsmechanismus könnte bei gesunden Personen mit funktionierenden Lymphsystem überflüssig sein. Die lymphatische Funktion verbesserte sich bei allen Testpersonen mit Armlymphödem, was sich durch eine erhöhte Frequenz der Lymphpropulsion im unbehandelten, asymptomatischen Arm und proximalen Bewegungen der ICG im behandelten, symptomatischen Arm gezeigt hat.

Diskussion

Die Last der Behandlung des Lymphödems nach Brustkrebs wird gelindert wenn die Erkrankung früh erkannt und die Behandlung strikte eingehalten wird. Verschiedene Behandlungen können die Symptome in unterschiedlichem Grad verbessern: KPE, Mikrochirurgie, AIK und spezielle Bewegungsübungen. Bisher stand keine Methode zur direkten, unverzüglichen Beurteilung der Lymphfunktion zur Verfügung, welche die Wirksamkeit einer klinischen Intervention untersuchen konnte. Anderen Autoren ist es gelungen, die Wirksamkeit der MLD in Echtzeit aufzuzeichnen. Die Behandlung mit AIK Geräten bezweckt eine Nachahmung der MLD, um Lymphödempatienten eine Lymphdrainage zu Hause zu ermöglichen. Wird die AIK täglich zu Hause angewendet, tritt bei 95% der Lymphödempatienten eine Volumenreduktion oder Erhalt des Therapieerfolgs ein.

In der vorliegenden Studie verbesserte sich die Lymphfunktion im behandelten und unbehandelten Arm der Kontrollgruppe, was darauf hindeutet, dass die AIK zu einer systemischen Stimulation des Lymphsystems führt. Leider wurde die Diagnose bei den Studienteilnehmerinnen 7-63 Monate vor Studienbeginn gestellt, was zu einer veränderten Lympharchitektur im symptomatischen Arm geführt und die Aufzeichnungen der tieferen Gefässe verunmöglicht hat. Eine andere Erklärung könnte der voranschreitende Verlust von funktionierenden Lymphgefässen in der betroffenen Extremität sein. In früheren Studien wurden bei einer Patientin mit einseitigem Armlymphödem nach beidseitiger Mastektomie am asymptomatischen Arm Regionen mit Lymphgefässen mit Hyperplasie entdeckt, die verbunden waren mit funktionierenden, erweiterten Gefässen, die einen Reflux oder distalen Transport ergänzend zum proximalen Fluss zeigten.

Weitere Studien mit bildgebenden Verfahren werden benötigt um herauszufinden, ob solche lymphatischen Abnormalitäten sich vor den Symptomen abzeichnen und sich später zu einem Lymphödem entwickeln. Ein besseres Verständnis über den Verlauf von Armlymphödemen nach Brustkrebs ist nötig, um evidenzbasierte Methoden anzuwenden, die das Voranschreiten der Erkrankung vorbeugen und die Behandlung verbessern.

Prophylaktische Anwendung der KPE

Es gibt Beispiele in denen gezeigt wurde, dass die prophylaktisch angewendete KPE den Beginn der Erkrankung verzögern und die Behandlung vereinfachen kann. Die AIK könnte in der prophylaktischen Behandlung von Frauen mit erhöhtem Risiko für ein Armlymphödem von Bedeutung sein. Bis jetzt gibt es allerdings noch keine ausreichend gute Technik, um die Veränderung der Lymphfunktion und Architektur mit fortschreitender Erkrankung zu bewerten, die eine prophylaktische Behandlung rechtfertigen würden.

Betrachtet man die unterschiedlichen Antworten auf die Behandlung könnte eine Diagnosetechnik, welche den Effekt der individuellen Behandlung misst dazu beitragen die Wirksamkeit der verschriebenen Behandlung zu verbessern und die Compliance zu erhöhen.

Kurz zusammengefasst bestätigt die Studie die Wirksamkeit von moderner AIK, liefert Daten die weitere Studien unterstützten und rechtfertigt Langzeitstudien die helfen die Behandlung des Armlymphödems nach Brustkrebs zu verbessern und allenfalls eine Lymphödem vorzubeugen.

Nahinfrarot Fluoreszenz Bildgebung bietet eine einzigartige Möglichkeit das Lymphsystem darzustellen. Für diese Technik werden nur Mikrodosen des Färbemittels benötigt, was das Risiko von unerwünschten Wirkungen auch bei wiederholter Anwendung reduziert. Wir haben beobachtet, dass kleinste Dosen nötig sind um die Bewegung in den Lymphgefässen beobachten zu können. Grosse Mengen Färbemittel sättigen die Gefässe und sorgen für ein unscharfes Bild, in dem der Transport von“ Paketen“ im Lymphfluss nicht beobachtet werden kann. Die verbesserte Sensitivität der neuen Technik erlaubt eine nicht invasive Darstellung der Lymphgefässe beim Menschen.


Studiennachweis

  1. Kristen E. Adams et al. (2010): Direct evidence of lymphatic function improvement after advanced pneumatic compression device treatment of lymphedema; Biomed Opt Express. 2010 Aug 2; 1(1): 114–125., doi: 10.1364/BOE.1.000114; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3005162/ (Abgerufen am 8.6.17)