Studie: Echtzeitnachweis der AIK bei Beinlymphödem

Echtzeit Nachweis des oberflächlichen Lymphdrainage-Effekts der intermittierenden pneumatischen Kompressionstherapie bei Beinlymphödem

Erstmals wurde der Lymphdrainage-Effekt der intermittierenden pneumatischen Kompressionstherapie (IPK), in Europa häufig auch apparative intermittierende Kompressionstherapie (AIK) genannt, in Echtzeit überprüft. Die Studie von Dr. Shinya Kitayama et al. haben wir für Sie hier in einer leicht gekürzten Version frei übersetzt.

Einführung

Studie zur Kompressionstherapie

Sekundäre Lymphödeme werden durch Verletzungen, Entzündungen und Krebsbehandlungen ausgelöst. Da die Überlebenschancen bei Krebs gestiegen sind, ist es wichtiger geworden die Behandlung des Lymphödems zu verbessern. Die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE), welche das Tragen von Kompressionsstrümpfen- oder Verbänden, manuelle Lymphdrainage (MLD), Hautpflege, Bewegungsübungen und intermittierende pneumatische Kompressionstherapie (IPK) umfasst, ist die Haupttherapie bei Lymphödem. IPK ist eine weit verbreitete und kostengünstige Lymphdrainagetherapie die ganz einfach zu Hause durchgeführt werden kann. Trotzdem wurde bis jetzt wenig über den Effekt auf den Lymphabfluss berichtet. In der vorliegenden Studie haben die Autoren den Lymphfluss im behandelten Bein während der IPK in Echtzeit beobachtet und dabei die Geschwindigkeitsunterschiede des Lymphflusses bei verschiedenen Aufblas- und Entleerungsmodellen, sowie mit hohem und niedrigem Druck untersucht. Zu diesem Zweck wurde eine transparente mehrkammerige Manschette und eine Videoanalyse Software Programm verwendet. Das Ziel der Studie war es, die Änderung der Lymphflussgeschwindigkeit in Echtzeit unter der IPK zu ermitteln und herauszufinden welcher Modus und Druck am besten für die Behandlung des Beinlymphödems geeignet ist.

Material und Methode

Material

Die Pilotstudie wurde an acht gesunden, linken Beinen von Freiwilligen (1 Mann,7 Frauen) durchgeführt. Das Durchschnittsalter der Freiwilligen betrug 38 Jahre (22-53). Niemand hatte subjektive oder objektive Zeichen eines Lymphödems oder in der Vergangenheit Traumata oder Operationen der Beine erlitten, sie waren nicht unterernährt und hatten keine Herz-, Nieren- oder Lebererkrankungen.

Aufgrund der Resultate aus der Pilotstudie wurden 17 Beine von 15 Patienten mit sekundärem Lymphödem in die Folgestudie eingeschlossen. Alle Patienten waren Frauen mit einem Durchschnittsalter von 63 Jahren (39-83). 13 hatten ein einseitiges Lymphöden, 2 ein beidseitiges, was insgesamt 10 rechte und 7 linke Beine macht. Die Grunderkrankungen waren gynäkologischer Krebs (n=14) und Dickdarmkrebs (n=3). Die Schädigung des Lymphsystem war operationsbedingt, inkl. Lymphknotenentfernung (n=10), inkl. Lymphknotenentfernung und zusätzlicher Bestrahlung (n=5), sowie durch alleinige Bestrahlung (n=2). Es waren 2 Lymphödeme im Stadium I und 14 Lymphödeme im Stadium II (gemäss Einteilung der International Society of Lymphedema ISL) vorhanden.

Der Schweregrad wurde anhand der Maewawa Klassifikation der Lymphoscintigraphie in zwei Gruppen eingeteilt, eine milde Gruppe und eine mittlegradige Gruppe. Ausgeschlossen waren Personen mit schweren Formen des Lymphödems, sowie solche die sich bereits einer operativen Behandlung des Lymphödems unterzogen hatten.

Folgende Begleitbehandlung wurde während der Studie durchgeführt:

  • 10 Beine wurden mit MLD und Kompressionsstrümpfen tagsüber behandelt
  • 5 Beine wurden mit MLD, Kompressionsstrümpfen tagsüber und einer weichen Bandage nachts behandelt
  • 2 Beine wurden nicht zusätzlich behandelt.

Methode

Nachdem die Patienten für 10 Minuten eine liegende Position eingenommen haben, wurde ein Farbstoff (ICG) intradermal in jeden Zwischenzehenraum gespritzt. Anschliessend wurde das Muster der Lymphgefässe mit einer Spezialkamera (nah-infrarot fluoreszenz Kamera) überprüft. Meist wurden mehrere oberflächliche Lymphgefässe am Fussrücken entdeckt, die sich zu einem oder zwei Hauptlymphgefässen im Bereich des Unterschenkels zusammenfassten, die entlang der Beininnenseite in Richtung Rumpf führten. Das Bein wurde dann mit einer transparenten sechskammerigen IPK-Manschette bedeckt. Die Kammer 1 bedeckte den Fuss, die andern Kammern wurden in Richtung Oberschenkel weiternummeriert. Die Kamera wurde über der Kammer 2 im Fesselbereich des Beins platziert. Anschliessend wurde die IPK Behandlung gestartet. Dank der transparenten Manschette konnte die Änderung der Fluoreszenz der Farbe in Echtzeit beobachtet werden. Danach wurde der Wechsel in der Fluoreszenz-Intensität anhand des aufgenommenen Videos analysiert, um die verschiedenen Behandlungsmethoden miteinander zu vergleichen. Für die Studie wurde ein japanisches IPK Gerät mit einer 6 kammeriger Manschette verwendet.

Behandlungsmodi

Es wurden zwei verschiedene Behandlungsmodi für die Aufpumpphase und für die Ablassphase getestet. Für die Aufpumpphase wurde der hyper Modus (HP) bei welchem das ganze Bein gleichzeitig komprimiert wird mit dem sequentiellen Modus (SQ) bei dem eine Kammer nach der andern aufgepumpt wird (distal nach proximal) verglichen. Die Aufpumpphase dauert 30 Sekunden. In der Pilotstudie ist mit einem Druck von 90 mmHg gearbeitet worden. Da es sich gezeigt hat, dass auch geringere Drücke den Lymphfluss beschleunigen, wurde die Folgestudie mit 45 und 90 mmHg ausgeführt. Die Behandlungseinstellungen wurden für drei Aufpump- und Ablasszyklen angewendet.

Videoanalyse

Es wurde ein Videoanalyse-Software verwendet, um die als fluoreszierende Linien dargestellten Lymphgefässe in fünf Interessenregionen (ROIs) zu unterteilen. Die Fluoreszenzintensität wurde alle 0.2 Sekunden gemessen, um den Unterschied in der Helligkeit graphisch aufzuzeichnen. Die maximale Veränderung zwischen 2 Sekunden der Aufpumpphase in jeder aufgezeichneten Kurve wurde errechnet. Danach wurde der Hauptwert dieser drei Veränderungen (SLOPE) berechnet, um die Lymphflussgeschwindigkeit bei jeder Testperson für jeden Behandlungsmodus wiederzugeben. Als Vergleichsparameter wählten die Studienautoren den durchschnittlichen SLOPE Wert aller Teilnehmer. Da Änderungen in der Fluoreszenz hauptsächlich durch das Aufpumpen der Manschette verursacht werden, kann der SLOPE der Aufpumpphase als direkter Effekt der IPK angesehen werden. Der Durchschnittliche SLOPE jedes Behandlungsmodus und der beiden Patientengruppen „mild“ und „mittelgradig“ wurden miteinander verglichen.

Resultate

Testgruppe mit gesunden Beinen

Bei allen Freiwilligen konnte während der IPK Behandlung eine Veränderung der Lymphflussgeschwindigkeit in den Gefässen auf der Innenseite des Unterschenkels festgestellt werden. Es gab jedoch keinen signifikanten Unterschied zwischen den verschiedenen Behandlungsmodi.

Lymphödem Patienten

Bei der Gruppe der Lymphödem-Patienten konnten die Lymphgefässe nicht immer an der gleichen Stelle gefunden werden, sodass die Aufzeichnung des Lymphflusses teilweise an der Vorder- oder Aussenseite des Beins durchgeführt wurde. Der durchschnittliche SLOPE Wert war beim sequentiellen Modus (SQ) signifikant höher als beim hyper Modus (HP), unabhängig vom Ablassmodus. Zusätzlich war der SLOPE im SQ Modus signifikant höher, wenn ein hoher Druck (90 mmHg) angewendet wurde, als bei einem niedrigen Druck (45 mmHg). Wenn man die „milde“ mit der „mittelgradigen“ Gruppe vergleicht, war der durchschnittliche SLOPE in der milden Gruppe grundsätzlich höher, der Unterschied war jedoch nicht signifikant. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Lymphfluss bei einem Beinlymphödem durch die Anwendung von IPK mit sequentiellem Aufpumpmodus und hohem Druck verbessert werden kann.

Diskussion

In früheren Studien anderer Autoren wurde festgestellt, dass die Wirkung der IPK abnimmt, wenn der Schweregrad des Lymphödems zunimmt. Ausserdem scheint auch das Alter und Geschlecht einen Einfluss auf den Lymphfluss zu haben. Die Ablassphase der IPK scheint hingegen keine Auswirkung auf den Lymphfluss während der Aufpumpphase zu haben, wie die vorliegende Studie nahelegt.

Zum ersten Mal überhaupt konnte der Lymphfluss in der vorliegenden Studie in Echtzeit beobachtet werden, da eine transparente Manschette eingesetzt wurde. Durch den Vergleich verschiedener Behandlungsmodi konnte auch der noch offenen Frage nach den geeigneten Therapieeinstellungen nachgegangen werden, eine Frage in der bis heute kein Konsens herrscht.

In der Pilotstudie wurden die Versuchspersonen mit einem Druck von 90 mmHg behandelt. Da in der Videoanalyse bereits vor dem Erreichen des Zieldrucks eine Veränderung sichtbar wurde, haben sich die Studienautoren entschieden bei den Lymphödempatienten Versuche mit 45 und 90 mmHg durchzuführen. Trotz der korrekten Annahme, dass auch ein geringerer Druck einen oberflächlichen Lympdrainageeffekt auslöst, haben die Resultate gezeigt, dass der durchschnittliche SLOPE bei hohem Druck im sequentiellen Modus höher ist.

Ein hoher Gefässinnendruck aufgrund von Degeneration oder Stauung könnte den Lymphabfluss beeinträchtigen. Bei Messungen konnten Zaleska et al. feststellen, dass ein Druck von 80-120 mmHg nötig ist um einen Gewebeflüssigkeitsdruck von 30 mmHg zu erreichen. Abhängig vom Zustand des Gewebes variierte der erreichte Druck. Bei fortgeschrittenen Fibrosen können deshalb höhere Behandlungsdrücke notwendig sein.

Obwohl manche Autoren davon ausgegangen sind, dass ein zu hoher Druck einen umgekehrten Effekt haben kann und Lymphgefässe verletzt, Entzündungen verursacht und Genitallymphödeme begünstigt, gibt es keinen Beweis der diese Aussagen stützt. In der vorliegenden Studie ist kein solches Ereignis aufgetreten. Lediglich einige Teilnehmer beklagten sich über ein beengendes Gefühl bei einem Druck von 90 mmHg. Auch wenn die IPK bei hohem Druck besser ist, sollte man es bei milden Formen des Lymphödems in Betracht ziehen, den Druck zu reduzieren, wenn die Patienten bei hohem Druck über Schmerzen klagen.

Die Studienautoren gehen davon aus, dass der durchschnittliche SLOPE bei schwereren Fällen niedriger ausgefallen wäre als bei milden Fällen des Lymphödems. Aufgrund der gewählten Messmethode war ein Vergleich mit schweren Fällen leider nicht möglich, da dort der Lymphfluss nicht immer in der gewünschten Art dargestellt werden kann. Zukünftige Studien sollten sich auf diesen Vergleich konzentrieren.

Nur wenige Studien haben bis jetzt einen direkten Beweis für die Wirkung der IPK erbracht. Mit der vorliegenden Studie konnten die Autoren erstmals einen direkten Echtzeit-Beweis der Wirkung von IPK auf den Lymphfluss erbringen. Auch der Unterschied zwischen verschiedenen Behandlungsmodi konnte nachgewiesen werden. Die Resultate legen nahe, dass ein besserer Behandlungseffekt eintritt, wenn die IPK mit hohem Druck durchgeführt wird.

Ein schnellerer Lymphfluss muss nicht zwingend mit einem besseren therapeutischen Effekt einhergehen. Wenn man die Resultate älterer Untersuchungen betrachtet ist es jedoch sehr wahrscheinlich, dass IPK die Funktion des lymphatischen Systems verbessert. Ein beschleunigter Lymphfluss stimuliert das Lymphsystem und könnte eine verbesserte Funktion desselben auslösen.

Die vollständige Originalfassung der Studie ist hier erhältlich: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28323573


Studiennachweis

Shinya Kitayama et al. (2017): Real-Time Direct Evidence of the Superficial Lymphatic Drainage Effect of Intermittent Pneumatic Compression Treatment for Lower Limb Lymphedema; LYMPHATIC RESEARCH AND BIOLOGY, Volume 15, Number 1, 2017; DOI: 10.1089/lrb.2016.0031