Das Experteninterview
Posted by VASO prime / March 25th, 2015 / No responsesDas Experteninterview mit Dr. med. Fiorenzo Angehrn, FMH Chirurgie, Phlebologie SGP
Dr. med. Fiorenzo Angehrn ist Facharzt für Chirurgie und Venenerkrankungen. Als Gefässchirurge hat er über 20 Jahre die Venenklinik Piano in Biel geleitet. Zu den Schwerpunkten gehörte die Behandlung des Lymphödems. Wir sprachen mit Dr. Angehrn über das Lymphödem und über die Tatsache, dass die Lymphologie in der Medizin immer noch ein Leben in der letzten Reihe führt.
Das Lymphödem kann nicht geheilt werden. Warum beschäftigen Sie sich denn mit dieser Erkrankung?
Dass eine Erkrankung nicht heilbar ist bedeutet noch lange nicht, dass sie nicht therapierbar ist. Auch Zuckerkrankheit ist nicht heilbar, HIV ist nicht heilbar, viele Krebsformen sind nicht heilbar, trotzdem werden alle diese Erkrankungen korrekt nach anerkannten Richtlinien therapiert. Das sollte eigentlich auch für das Lymphödem gelten.
Warum sollte?
Lymphödeme sind keine Volkskrankheit wie es die Venenleiden (Krampfadern) sind. Die Lymphologie führt ein Schattendasein. Für den einzelnen Arzt ist es daher schwierig, Erfahrungen mit diesem Krankheitsbild zu sammeln. Infolge unzulänglicher Information und Behandlung sind die Therapieergebnisse schlecht. Alle Beteiligten sind frustriert. Die Erkrankung wird als schicksalsgegeben akzeptiert.
Es gibt doch ein primäres und ein sekundäres Lymphödem. Was ist der Unterschied?
Bei der primären angeborenen Form sind die Lymphbahnen nur teilweise angelegt. 97% sind nicht erblich. Ganze Extremitäten oder Körperregionen sind betroffen. Beim sekundären Lymphödem hingegen sind die Abflussbahnen aufgrund z.B. von Operationen, Unfällen, Bestrahlungen oder Entzündungen irreparabel geschädigt.
Das Lymphödem ist nicht heilbar, was bezwecken Sie denn mit einer Therapie?
Vorab eine Richtigstellung: Unkomplizierte, akute Lymphödeme heilen ab! Denken Sie z.B. an die Schwellung nach einem Bienenstich. Bei den chronischen Formen unterscheiden wir vier Stadien:
- Stadium 0: Latenzstadium: Symptomloses Stadium
- Stadium 1: Reversibel. Eiweissreiche Schwellung, mit dem Finger kann noch leicht eine „Delle“ eingedrückt werden. Ein Hochlagern reduziert die Schwellung.
- Stadium 2: Spontan irreversibel. Harte Schwellung, nur noch wenig eindrückbar, nach Hochlagerung unverändert.
- Stadium 3: „Elephantenbein“. Unförmige Schwellung, eingeschränkte Beweglichkeit.
Eine korrekte Therapie hindert die Erkrankung am Fortschreiten. Ein reversibler Zustand wird ins nächst tiefere Stadium zurück versetzt. Chronische Leiden sind permanent zu therapieren. Dies bedeutet für Patienten, Leistungserbringer und Leistungszahler eine grosse Herausforderung.
Welche Therapien werden beim Lymphödem eingesetzt?
Die moderne Behandlung besteht aus vier Komponenten:
- Manuelle Lymphdrainage
- Kompressionsbehandlung
- Bewegungsübungen
- Hautpflege
Jeder dieser Punkte ist wichtig. Der Lymphpatient wird im Netzwerk spezifisch dafür geschulter Spezialisten therapiert. Neben dem Gefässspezialist und dem Physiotherapeuten wird fallweise ein Ergotherapeut, ein Hautarzt, ein Orthopäde oder ein Internist zugezogen.
Haben Sie für die betroffenen Patienten einen „Insidertipp“, der über die üblicherweise angebotenen Therapiebestandteile hinausgehen?
Die besten Ergebnisse sehen wir dort, wo der Patient aktiv in den Behandlungsplan einbezogen ist. Hier bietet sich die apparative intermittierende Kompressionstherapie (AIK) an. Diese Therapie erfolgt zu Hause als Ergänzung zur manuellen Lymphdrainage. Sie ist einfach und kostengünstig, der Patient bestimmt selbst, wann im Verlaufe des Tages er die Therapie durchführt.
Neben Bandagen, speziellen medizinischen Kompressionsstrümpfen und manueller Lymphdrainage gehören Geräte zur apparativen intermittierenden Kompression zum anerkannten Standard der ärztlich indizierten Therapien bei venösen und lymphatischen Erkrankungen.
Sie haben einen ganz besonderen Stellenwert im Gesamttherapiekonzept, das jeweils individuell erstellt wird. Die apparative Intermittierende Kompression ist bei schwer behandelbaren Fällen in Ergänzung zu Bandagen und manueller Lymphdrainage geradezu unerlässlich. Im Weiteren sind solche Geräte die Therapie der Wahl, wenn z.B. keine manuelle Lymphdrainage in guter Qualität verfügbar ist. Auch für mehrheitlich immobile Patienten, bettlägerige Patienten, Patienten im Rollstuhl, Patienten mit Bewegungseinschränkungen oder Patienten mit Lähmungen sind diese Geräte ideal. Ausser dem Anlegen der Manschetten, die sich intermittierend aufpumpen, braucht der Patient nichts zu tun.

Oft kann damit die Kadenz manueller Lymphdrainagen verringert werden, was zeit- und kostensparend ist. Die Mietkosten für solche Geräte werden bei korrekter Verordnung durch die Krankenkassen übernommen.
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